
Frank Dömers
				bislang größte,
		 		allein das Thema "Stuhl" variierende Bildfolge trägt den
		 		Titel "Public Enemy". Im
		 		Gesamtkontext seiner Arbeit bezeichnet sie zugleich eine Art
		 		Wende auf der Suche nach einer möglichen Gegenständlichkeit als
		 		thematischer Ausgangspunkt seiner Malerei. Die aus 96 gleichformatigen
		 		Werken bestehende Bildfolge ist im Laufe eines knappen Jahres
		 		entstanden. In ihr lotet Frank Dömer seine Auseinandersetzung mit einer
		 		gegenständlichen
		 		Malerei vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte vielfältig aus.
		 		Zitate aus der Kunstgeschichte, von Caravaggio, van Gogh oder
		 		Matisse, sind daher bewußt in die Bilder eingebracht. Manchmal bleiben
		 		sie nur noch als Stimmung spürbar oder werden, formelhaft, als Raster
		 		und Ornament Bestandteile des Hintergrunds. Während manche Stühle
		 		sehr detailliert ausgearbeitet werden, sind andere nur schematisch
		 		mit wenigen Pinselstrichen skizziert. Es gibt einfache Hocker,
		 		verschnörkelte
		 		oder fast barock zu nennende Stühle, mit ihren Proportionen aus dem
		 		Bild drängende,
		 		metaphysisch wirkende Stühle, schwebende, hängende, tanzende Stühle,
		 		manche sind verzerrt oder verwischt, andere wirken wie abgestellt.
		 		Der Hintergrund, in den die Stühle eingebunden sind, oder der als bloße
		 		Projektionsfläche
		 		für den Gegenstand fungiert, ist sehr frei gestaltet: Ornamente, Raster,
		 		Kratzer, Gitter, Flächen, Räume, Landschaft. Folien für Schauplätze
		 		vielfältiger Art, aber auch Lust am Material. Von wenigen, den Stühlen
		 		hinzugefügten Gegenständen abgesehen, etwa die über eine
		 		Lehne gehängte Jacke oder ein Bierglas, ist es das Motiv des Feuers,
		 		das in vielen Bildern wiederkehrt. Feuer und Holz, zwei Komponenten,
		 		deren Zusammentreffen zwangsläufig zu Flammen führt, die den Gegenstand
		 		verzehren, zerstören und vernichten, die andererseits aber auch Wärme
		 		spenden, bleiben hier seltsam isoliert. Selbst wenn die auf einem
		 		Stuhl abgelegte Maler-Palette in Flammen steht, wird das Feuer
		 		nie spürbar
		 		zum Zeichen der Bedrohung. Wie die anderen Gegenstände setzt es Frank
		 		Dömer immer additiv; eine eindeutige Bedeutungszuweisung bleibt offen. 
		Daß die Stühle
		fast überwiegend
		 		nur drei Beine haben, fällt beim ersten Anschauen kaum auf. Zu schnell
		 		ist der Gegenstand, und wäre er nur Fragment, als Stuhl codiert und
		 		identifiziert. Drei Beine, sagt Frank Dömer, bedeute auch Zurücknahme
		 		von Macht und Übernahme von Verantwortung, dabei an die kulturgeschichtliche
		 		Bedeutung des vierbeinigen Stuhls denkend, der ursprünglich für
		 		das domestizierte, unterworfene Tier stand. Übernahme von Verantwortung
		 		impliziert Bewußtsein für die Geschichte, macht den funktionalen
		 		Stuhl, das heißt, den nicht funktionierenden Stuhl zum Sinnbild des
		 		Titels. Jeder einzelne der 96 Stühle bleibt dabei immer auch das Bild
		 		eines Stuhles, der in der Aneinanderreihung, in der Potenzierung
		 		seiner selbst an Individualität und damit an Symbolhaftigkeit verliert
		 		und schließlich auch zum Zeichen seiner eigenen Gegenständlichkeit
		 		wird.
		 		Susanne Lange 1993. 

