Malerei
Frank Dömer (*1961)
thematisiert Malerei über die formale Geste der Abstraktion und
Motivvariation, die Bildserie oder Gruppe. Der Bildgegenstand, den er
behandelt, ist der Gegenstand der Erfahrungswirklichkeit, die Suche nach
den Bildern des Privaten, Intimen und der Erinnerung. In der Arbeit Public
Enemy (1992/93) etwa sind es annähernd 100 Bilder kleineren
Formats, in denen er anhand des Themas >Stuhl< malerische Reflexionen
anstellt. Der Alltagsgegenstand wird als ein variables funktionales Objekt,
als Teil eines räumlichen Zusammenhangs oder als wahrnehmungsästethische
Größe behandelt. Kein Gegenstand - und mag es auch oft so
scheinen - ist einem anderen gleich. Dömers malerisches Problem
ist das Problem des Individuums und der Masse, der Subjektivität
der Wahrnehmung gegenüber der Objektivität der Idee. Die Malerei
gibt dem Künstler die Möglichkeiten, einen Gegenstand in seiner
raum- und zeitbezogenen Erscheinungsweise wiederzugeben. Malerei wird
als abstrakte, gleichzeitig aber auch als reale Größe aufgefaßt.
Demnach ist es nur konsequent, daß Dömer sich an Vorbilder
aus der Kunstgeschichte anlehnt. Er zitiert Motive, Malweisen oder Inhalte
und macht die Malerei zu einem selbstbezüglichen Medium. Eine Serie
von Frauenakten aus dem Jahr 1993 zeigt eine Verdichtung der Wahrnehmung
des Künstlers auf >Augenblicke<, Momentaufnahmen der im Gedächtnis
verhafteten Vorstellungen eines Menschen, eines Körpers. Einzelne
Körperteile werden in ihrer erotischen Präsenz zu >Objekten
der Begierde<, stilisiert. Gelegentliche Bildtexte pointieren die Darstellungen
zu Erzählungen, ohne daß der Betrachter eine Geschichte je
ganz auflösen könnte. Malerei als biographisches Notizbuch.
Der weibliche Akt ist meist eingebunden in eine anonyme farbige Räumlichkeit,
in einen offenen Gedankenraum. In der Serie Anne I-V (1993)
wird eine in Grautönen gemalte Frau in eine von bläulichem
Rot getränkte Strandlandschaft eingebettet. Die Erinnerung verändert
ein Bild, eine Vorstellung von einem Menschen. In der kleinen Serie mit
vier grau in grau gemalten Bildern Ohne Titel (1992), die
eine Frau am Strand zeigen, holt der Künstler - beginnend bei einer
Fernansicht - die Figur mit jedem neuen Bild stufenweise näher zum
Betrachter. Mit zunehmender Nähe verdichtet sich der Blick auf den
Körper und schließlich auf die nackten Brüste der Frau.
Ein Stilleben geht unmerklich in einen Akt über. In seiner jüngsten
Arbeit, einer Werkgruppe aus insgesamt 20 gleich großen Bildern,
die alle aus einem grün gefärbten und mit Mustern bedruckten
Stoff bestehen, auf den der Künstler in ein Rechteckfeld mit helleren
Blau- und Grautönen kleine sitzende, liegende, spielende oder lachende
Kinder gemalt hat, wird nochmals eine stärkere bildnerische Konsequenz
deutlich. Das kleine Kind, ein beliebtes Beobachtungsobjekt des familiären
Alltags, wird hier zum Gegenstand einer sich selbst beobachtenden Malerei.
Motiv- und Formvariationen dienen dem Durchspielen eines Themas nach
unterschiedlichen inhaltlichen und formalen Richtungen. Kunstgeschichtliche
Paraphrasen vermischen sich mit Bildern der Gegenwart. Raum und Zeit
scheinen aufgehoben zu sein. Die hellblauen Farbtöne >entrücken< die
Darstellungen der Realität. Nur die als Rahmen stehengebliebenen
Stoffteile stellen die Verbindung zum jetzt her. Die Gestaltungen selbst
scheinen aus dem Unterbewußtsein, aus der Erinnerung aufzutauchen,
beginnen, sich in unseren Gedanken wie entfernte Bilder unserer eigenen
Kindheit zu bewegen. Mit dieser Werkgruppe setzt Frank Dömer Teile
unseres Gedächtnisses frei, läßt er uns einen kleinen
Teil unserer kollektiven Vergangenheit spüren.
Rolf Lauter, 1994